Am Freitag hielt ich beim educational Barcamp der Universität Freiburg (Mehr dazu hier und bei Twitter unter dem Hashtag #fredu17.) eine Session zum Thema Lehren und Lernen im 21. Jahrhundert, die etwa nach der Hälfte der Zeit von zwei, drei Leuten „gesprengt“ wurde, weil sie die Debatte in eine Richtung lenkten, die ich bei einem Barcamp weder erwartete noch für zielführend halte. Nachdem große Bedenken bezüglich der Gewährleistung von Datenschutz geäußert wurden, stellte man den Mehrwert Digitaler Bildung grundsätzlich in Frage, indem man Studien forderte, die diesen belegen sollen. Die restliche Zeit des 45 minütigen Zeitfensters gelang es mir leider nicht mir in die anfängliche Spur der Debatte zurückzukehren. Meine persönliche Unzufriedenheit und die Gespräche hinterher, in denen zahlreiche Session-Teilnehmer*innen mir ebenfalls ihr Bedauern über die Entwicklung mitteilten, warfen in mir die Frage auf, ob und wie man zukünftig verhindern kann, dass Diskussionen über Digitale Bildung in ideologischen Grabenkämpfen enden. Dabei scheinen zwei Faktoren eine bedeutende Rolle bei der Strategiesuche zu spielen: Die am Gespräch beteiligte/n Person/en und die Gründe, weshalb Bedenken geäußert werden. In meinem letzen Fall waren das ca. 30 Menschen aus dem Hochschulbereich und der Wirtschaft, die mit sehr differenziertem Vorwissen und Interesse vor Ort waren. Bei Gruppen sympathisiere ich aktuell mit der Strategie, die Menschen, die den Weg der Digitalen Bildung frisch beschreiten (möchten) oder für einen Austausch offen sind, nicht abzuschrecken und (weiter) zu motivieren, indem man eine solche Debatte durch ein kurze und für einen Großteil sofort einleuchtende Begründung der Notwendigkeit von Digitaler Bildung abschließt; und zwar so, dass im Anschluss ein kontroverser Diskurs mit den Bedenkenträger*innen für alle Beteiligten weiterhin möglich erscheint. Hierfür startete ich in sozialen Netzwerken gestern einen Aufruf, die besten Gründen für Digitale Bildung in diesem Etherpad festzuhalten. Ich freue mich über jede weitere Beteiligung. Um das Ergebnis zu sichern und einen weiteren Austausch zu begünstigen, werde ich alle dort genannten Argumente mit den freiwilligen Personenangaben unter diesem Beitrag verlinkt veröffentlichen.
Die Argumente Datenschutz und (fehlender) Mehrwert habe ich in den Debatten der letzten Jahre häufig als Verhinderungsdiskurs erlebt, der immer in einer Sackgasse endete, weil die Parteien lediglich ihre Positionen bestätigen und nicht miteinander, sondern gegeneinander sprachen. Weil Ängste oder (negative) persönliche Erfahrungen nicht selten geäußerte Bedenken begründen, sind solche Gespräche emotional aufgeladen und drohen auf der sachlichen Ebene weder zu beginnen noch zu enden. In 1:1-Situationen tendiere ich momentan dazu, mehr zuzuhören und nachzufragen, um die Beweggründe zu erfahren. Wenn ich Argumente formuliere, versuche ich nur solche zu verwenden, die nicht deren Vorstellung angreifen, sondern meine bewerben. Das kostet viel Zeit und Kraft. Meine begrenzten Ressourcen investiere ich deshalb mittlerweile mehr in Leute, die Unterstützung wünschen oder offene, kontroverse und zielführende Debatten suchen. Und welche Strategie/n verfolgst du?
(Ich bin mir dessen bewusst und bitte das zu entschuldigen, dass Bedenkträger*innen begrifflich stark verkürzt eine Gruppe von Menschen beschreibt, die ich als solche subjektiv wahrnehme. Die Verkürzung soll aber keine (Ab)Wertung darstellen, sondern lediglich eine Vereinfachung, weil ich den Fokus auf die Sache und nicht die Personengruppe richten möchte.)
Die besten Gründe für Digitale Bildung
- edulabs: Digitale Bildung eröffnet didaktisch neue Möglichkeiten: Mit digital gestützten Methoden lässt sich vieles (leichter/anders/neu) umsetzen, was schon länger gefordert wird: Kollaboratives, projektorientiertes Arbeiten, Binnendifferenzierung, Inklusion.
- Damian Duchamps: Über viele Jahrhunderte sammelte man das Wissen der Welt auf Papier zwischen den Deckeln von Büchern. Wissen entstand in kleinen Stuben, Instituten und im papierschriftlichen und mündlichen Austausch. Diese Prozesse wandern wie die Sammlung von Wissen zunehmend in den digitalen Raum. Neue Formen von Wissen entstehen, etwa durch die Kombination unvorstellbarer Mengen an Daten. Bildung muss diesem Wandel folgen, um Menschen den Zugang zu ermöglichen. Ein System, das das Digitale aus Bildung ausklammern möchte, wird Benachteiligte hervorbringen. Für mich ist das vergleichbar der Rolle von Latein. Über eine lange Zeit wurde auf Latein gepredigt, war die Bibel für einfache Menschen unverständlich. Die normalen Menschen verstanden kein Latein, da es ihnen niemand beibrachte. Eine Welt blieb ihnen in großen Teilen verschlossen. Manche brachten es sich selbst bei, wenn sie die Möglichkeit hatten. Ohne digitale Bildung wird es wieder diese Spaltung der Gesellschaft geben.
- Beat Rueedi: Endlich barrierefreies Lernen unterwegs.
- Peter Ringeisen: Auch wenn es nur die Verbreitung von Text- und Bildgrundlagen für Unterrichtszwecke beträfe, wäre es sinnvoll, digitale Medien der Hektographie, dem Episkop und dem auf Filmspulen festgehaltenen Bewegtbild vorzuziehen, weil die damit erstellten Texte, Hörtexte, Bilder, Filme und multimediale Präsentationen flexibler zu handhaben und ästhetischer zu gestalten sind. Hinzu kommt zum einen, dass mit digitalen Medien eine neue Qualität weltweiter Kommunikation möglich wird, die den Schülerinnen und Schülern nicht vorenthalten werden sollte, und zum anderen, dass die von Schülerinnen und Schülern mithilfe digitaler Medien erstellten Produkte eine Mehrdimensionalität erreichen können, die vernetztes Lernen gestatten und abbilden. – [Nach nochmaligem Lesen der Aufgabenstellung:] Vernetzte Bildung (wie Nina Oberländer).
- Torsten Becker: Variatio delectat.
- Jürgen Drewes und Lisa Rosa: Kollaboration – Kommunikation – Kreativität – kritisches Denken.
- Hannelore Reitmeyer: Mit digitalen Werkzeugen wird es möglich, Bildung und Wissen im Massenformat (automatisches Feedback, Online-Vorlesungen ect.) zu vermitteln. Dabei ist es notwendig, nicht nur das „traditionelle “ Wissen zu vermitteln, sondern auch das Wissen über die Prozesse, die im Hintergrund der digitalen Lebenswert ablaufen (Überwachung, technische Abläufe, mathematische Grundlagen). Wird dieses Wissen nicht (zumindest rudimentär) in der breiten Masse der Bevölkerung verankert, besteht die Gefahr, dass bald nicht mehr wir die Algorithmen , sondern die Algorithmen uns beherrschen. Orwell und Co lassen grüßen.
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- Walter Staufer: Der digitale Wandel findet statt. Wir nehmen über Medien an der Gesellschaft teil. Aber wir müssen über digitale Bildung die Prinzipien verstehen, um den digitalen Wandel zu gestalten.
- Thorsten Puderbach: Die Digitalisierung ist da und als Lehrer ist es unsere Pflicht, die Schülerinnen und Schüler auf die aktuelle aber vor allem neue Welt vorzubereiten. Als Schule haben wir die Wahl diese Vorbereitung (im Sinne einer Digitalen Bildung) aktiv mitzugestalten oder später (evtl. korrigierend) hinterherzulaufen.
- Maxim Loick: Die digitale Sphäre lernt grundlegend anders als wir das aus der Schule unserer Tage kennen: Abgucken ist im digitalen Grundvoraussetzung, während es in der Schule als Betrug gebrandmarkt wird.
- Endlich Ruhe! Geistige Arbeit darf in Ruhe und hoch individualisiert vollzogen werden. Wir brauchen aber dafür auch andere Lernräume, eine andere päd. Architektur.
- Jochen Gollhammer: Gesellschaften ändern sich, Technik ändert sich, das Bildungssystem ändert sich. Es erscheint völlig unlogisch und unrealistisch, dass die Digitalisierung vor Bildungseinrichtungen halt macht. Gleichwohl sehe ich im digitalen Lernen bzw. der digitalen Bildung keine Bildungsrevolution. Für mich ergeben sich damit nur mehr Möglichkeiten im Unterricht mein Repertoire zu erweitern. Eine Symbiose aus analogem und digitalem Unterricht erscheint mir erstrebenswert. Im Mittelpunkt muss weiterhin die Schülerin und der Schüler stehen.
- Enno Schröder: Lasst uns endlich die Vorteile der digitalen Revolution uch in der Schule sinnvoll nutzen, als immer nur die Gefahren in den Vordergrund zu stellen. Datenschutz muss auch sein, sollte aber nicht alles ausbremsen. Außerdem muss Lehren und Lernen vollkommen neu überdacht werden, das fängt schon bei den Räumlichkeiten in der Schule an. Und noch eins, Lernen nimmt einem keiner ab, es braucht Anreize und lebenslange Neugierde bei Schülern und bei Lehrern.
- Saskia Müller: Dabei sind diese kritischen Töne, so selbstverständlich uns das Kritisierte heute erscheinen mag, durchaus ernst zu nehmen. Dass ausgerechnet der Stammvater der westlichen Denkkultur, Sokrates, im Dialog mit Phaidros auf jene Kulturtechnik der Schrift einteufelt, die ihn dank seines Schülers Platon heute noch rezipierbar sein lässt, erscheint nur auf den ersten Blick absurd. Auf den zweiten ist gerade das, was Sokrates in seiner Schilderung eines Gesprächs den altägyptischen König Thamus sagen lässt, unvermindert bedeutsam: „Nicht also für das Erinnern, sondern für das Gedächtnis hast du ein Hilfsmittel erfunden. Von der Weisheit aber bietest du den Schülern nur Schein, nicht Wahrheit dar. Denn Vielhörer sind sie dir nun ohne Belehrung, und so werden sie Vielwisser zu sein meinen, da sie doch insgemein Nichtswisser sind und Leute, mit denen schwer umzugehen ist, indem sie Scheinweise geworden sind, nicht Weise.
- Mathias Aebischer: Angesichts der allgemein anerkannten Notwendigkeit lebenslangen Lernens ist klar, dass Vor- und Nachwissen der Lernenden sich zunehmend unterscheiden werden. Wir brauchen deshalb eine individuellere Lernbegleitung als mit traditionellem Unterricht alleine realisierbar wäre. Die Digitalisierung ist folglich Voraussetzung zur Skalierung individueller Bildung. Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht zielführend alle Kinder auf denselben Bildungsstand zu bringen, ungeachtet ihrer Begabungen – obwohl natürlich ein breites Fundament gelegt werden muss. Doch wenn alle dasselbe können sollen, dann produziert unser Bildungwesen nur Mittelmass.
- Vom Verbot und der Verteufelung digitaler Medien lernen Kinder nicht den verantwortungsvollen Umgang mit diesen. Vielmehr ist es unsere Aufgabe, in der Schule eine mediale Ethik zu entwickeln und die großartigen Möglichkeiten individualisierten Lernens unseren Kindern als Chance für ihr Leben nahe zu bringen. (neumann279@googlemail.com)
- Wir sollten endlich die Kompetenzen, die sich Kinder und Jugendliche weitestgehend ohne Eltern und Schulen angeeignet haben, für Lernprozesse nutzen. Ein belehrender Unterricht wird dabei kontraproduktiv sein. Pädagogische Kreativität ist die Herausforderung der Gegenwart und Zukunft. (thtthi@aol.de)
- Christine Kolbe: Jugendkultur im 21. Jh. ist Digitalkultur – Lernumgebungen tun gut daran, sich mit den Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen zumindest überschneidend zu verbinden.
- Tom Mittelbach: Die Entwicklung des Digitalen ist exponentiell. Es ist eine Revolution im Gange. Es existiert nun ein weiteres Leitmedium. Wer sich digitaler Bildung/Weiterbildung verschließt, der verschließt sich der Zukunft. In naher Zukunft wird die künstliche Intelligenz normal sein und das wird geschehen . Unabhängig davon, ob Einzelne dies gut heißen oder nicht. Ob die politischen Verantwortlichen sich endlich politisch einmischen in die Gestaltung der digitalen Zukunft. Wir dürfen dieser Zukunft nicht einzig den global Playern überlassen. Bildung hat mit der Lebenswelt der Adressaten zu tun und mit der eigenen. Somit muss sie digital sein, nicht ausschließlich, das ist die Welt auch nicht, aber eben doch.
Das klassische Dilemma. Besonders ärgerlich, wenn Veranstaltungen, die mit dem Ziel der konstruktiven Diskussion, der Entwicklung von Perspektiven und Handlungsschritten gesprengt werden. Als einzige Möglichkeit sehe ich, solche Fragen in den Anschluss zu verlagern und das Ziel der Veranstaltung deutlich zu machen: Es geht um das wie, nicht mehr um das ob. Dann kann auch um das Wie des Datenschutzes, um das Wie des didaktisch sinnvollen Einsatzes von Medien, das Wie der individuellen Förderung, das Wie der 4K, das Wie des Erwerbs von Kompetenzen für das 21. Jhdt., das Wie der Prävention und des Schutzes vor Gefahren Sozialer Netzwerke und Überwachung etc. pp. gestritten werden.
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Beat Döbeli hat in seinem Buch „Mehr als 0 und 1“ Argumente gegen die Digitalisierung einschließlich der Gegenargumente gesammelt. Dieser Teil des Buchs ist online verfügbar: Argumente gegen das Digitale in der Schule.
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(Ja. Ein sehr gutes Buch. Mir ging es beim Aufruf eigentlich mehr um die persönliche Legitimation für die Förderung nach „Digitaler Bildung“. (Wollte wissen, was für KuK der Kern ihres Antriebs ist.)
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Verstehe – hatte den Post ehrlich gesagt nur überflogen. Sorry.
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Wofür das Sorry? Du hast für Mitlesende eine guten Hinweis geliefert. Da ist kein Sorry von dir angebracht, sondern ein Danke von mir. Danke. ;)
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Sorry dafür, dass ich Deinen Beitrag nicht gründlich gelesen habe :-)
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Tja. Da muss ich leider in meinem Mitarbeitsheftchen ein zartes Minus notieren. #DiesesMalDrückeIchNochEinAugeZu
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Lovely blog you havee here
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